Ein Wochenende mit Thomas Müntzer in Mühlhausen

„Es müntzert wieder“ – so könnte das Fazit eines ereignisreichen Maiwochenendes lauten, denn im thüringischen Mühlhausen erinnerten zahlreiche Veranstaltungen an den radikalen Reformator Thomas Müntzer. Das jährliche „Bauernkriegsspektakel“ belebte die Straßen; in der Marienkirche erklangen Gesänge aus Müntzers „Deutsche evangelische Messe“; eröffnet wurde die Sonderausstellung der Mühlhäuser Museen „Der geprägte Reformator. Thomas Müntzer auf Münzen und Medaillen“; die Thomas-Münzer-Gesellschaft hatte den Filmhistoriker Michael Grisko (Erfurt) eingeladen, der auf ihrer Jahresversammlung unterschiedliche Deutungen des Predigers in Film und Fernsehen analysierte, und „Die Linke“ lud in ihrer Reihe „Kultur neu denken“ jetzt zum Disput über Müntzer ein.

Mühlhausen ist dafür ein guter Erinnerungsort, denn in der ehemaligen freien Reichstadt hielt der streitbare Theologe sich 1524/25 für kürzere Zeit auf, beeinflusste maßgeblich das Geschehen in der Stadt und im umliegenden Land während der Phase des Bauernkriegs in Thüringen. Er verfocht hier konsequent seine Vorstellung von der Veränderung der Menschen und der Erneuerung der Welt. Doch die Aufständischen wurden bei Frankenhausen geschlagen, die siegreichen Fürsten rächten sich mit einem Blutbad und Müntzer wurde vor den Toren Mühlhausens am 27. Mai 1525 enthauptet.

Im Gedenkjahr an den 450. Jahrestag des Bauernkriegs 1975 wurde in der säkularisierten Kornmarktkirche ein Bauernkriegsmuseum eingerichtet und Mühlhausen der Beiname „Thomas-Müntzer-Stadt“ verliehen. Unter den veränderten politischen Verhältnissen entschied 1991 die Mehrheit der Stadtverordneten, diesen Namen abzulegen. Nichtsdestotrotz, so versicherte Oberbürgermeister Hans-Dieter Dörbaum, fühlt sich Mühlhausen mit dieser historischen Persönlichkeit eng verbunden, und man wisse zu würdigen, was er geleistet hat. Auch die 2001 in Mühlhausen gegründete Thomas-Müntzer-Gesellschaft hält die Erinnerung an ihn wach und ist über weltanschauliche Grenzen hinweg ein international wirkendes Forum der Müntzerforschung.

Es gibt also gute Gründe, warum die Bundestags- und die Thüringer Landtagsfraktion der Partei „Die Linke“ zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mühlhausen wählten, um unter Leitung der Bundestagsabgeordneten Luc Jochimsen und der Landtagsabgeordneten Birgit Klaubert über „Macht, Reformation, Freiheit“, konkreter über „Thomas Müntzers Utopie vom Land der Freien und Gleichen“ zu diskutieren.

Das Themenspektrum war breit gefächert. Es ging auch hier in einer Podiumsdiskussion um Müntzer im Film, vor allem um den Fernsehfilm „Der Satan von Allstedt“ des Mitteldeutschen Rundfunks (Michael Grisko und Drehbuchautor Matthias Schmidt), um die widerspruchsvollen Wandlungen des Müntzerbildes im Verlauf der Jahrhunderte (die Historiker Thomas T. Müller und Prof. Günter Vogler) und um die Vermittlung von Müntzers theologischen Überlegungen für die Kirchen heute (Prof. Hans-Jürgen Goertz). Diese drei Referenten unterstützten als Mitglieder der Thomas-Müntzer-Gesellschaft die Konferenz.

Dem so abgesteckten Themenrahmen schloss sich eine spannende Diskussion aus recht unterschiedlich motivierten konfessionellen Sichtweisen an, zu der Prof. Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, die Pröpstin i. R. Elfriede Begrich, der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt Prof. Josef Freitag und der Rektor des Abraham Geiger Kollegs Rabbiner Prof. Walter Homolka beitrugen. Das interessierte Publikum verfolgte aufmerksam, wie der Impuls aufgenommen wurde, Müntzers soziales Engagement von der Theologie her zu begreifen und wie – trotz differierender Sichten – das Gemeinsame in der Verantwortung für das zukünftige Miteinander in der Welt benannt wurde. Dabei wurde das schon im 16. Jahrhundert heftig diskutierte Thema Widerstandrecht und Widerstandspflicht leider nicht vertieft, und es blieb dabei, dass die Diskutanten Müntzer einseitig die Befürwortung von Gewalt unterstellten – insgesamt aber ein Thema, das eher ausgeblendet wurde.

Substantiell weniger auf die durch Müntzer vermittelten Erfahrungen orientiert, sondern schnell zu aktuellen Fragen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisensituation überschwenkend, diskutierten Dr. Peter Gauweiler (CSU), Dr. Reinhard Höppner, ehemals Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Bodo Ramelow von den „Linken“. Sie sahen in Müntzer eine Herausforderung, um nach der Machbarkeit von Politik zu fragen und landeten damit sehr schnell beim Pragmatischen, ohne die Chance zu ergreifen, Müntzers Ideen als Vision für das menschliche Zusammenleben in unterschiedlichen Gesellschaften einst und jetzt zu thematisieren. Dagegen sorgte Gregor Böckermann von den Ordensleuten für den Frieden für die Konkretisierung politischer Möglichkeiten, indem er seine eigenen Erfahrungen in Nordafrika und in Frankfurt am Main vorstellte, und verdeutlichte, inwieweit heute durch kuragiertes Handeln Kapitalismuskritik in die Tat umgesetzt werden kann.

Im Jahr 2017 jährt sich der 500. Jahrestag des Beginns der Reformation, der langfristig innerhalb einer Lutherdekade vom Rat der EKD vorbereitet wird. Dabei spielt Martin Luther eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt bestärkt durch die Eindrücke aus Mühlhausen, sollte Thomas Müntzer stärker in diesem Rahmen als Repräsentant eines alternativen Reformationskonzepts, das sich in der Auseinandersetzung reformbereiter Kräfte um die frühreformatorische Rechtfertigungslehre entwickelte, gewürdigt werden.

Marion Dammaschke