Bericht an die Mitgliederversammlung der Thomas-Müntzer-Gesellschaft

am 12. Mai 2012 in Mühlhausen

Vor vier Jahren hat Prof. Günter Vogler, der Gründungsvorsitzende der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, einen ausführlichen Bericht über die Arbeit unserer jungen Gesellschaft vorgelegt und die ersten Schritte auf dem beschwerlichen Weg, eine Gesellschaft zu werden, genau beschrieben. Seine Bilanz war ermutigend und hat die Richtung angegeben, in der sich das Bemühen, die Erinnerung an Thomas Müntzer wachzuhalten, entwickeln sollte. So war es mir damals nicht schwer gefallen, den Vorsitz der Gesellschaft aus seinen Händen zu übernehmen und sie im Einvernehmen mit dem Vorstand, besonders auch mit Günter Vogler, in die angedeutete Richtung weiter zu führen. Deshalb ist es jetzt meine Aufgabe, die Frage zu beantworten: Wo steht die Thomas-Müntzer-Gesellschaft heute?

1. Mitgliederstand

Der Mitgliederstand hat sich ein wenig verbessert. Damals zählte unsere Gesellschaft 59 Mitglieder, jetzt sind es 76 Mitglieder. Einige Mitglieder sind verstorben unter ihnen Dr. Sigrid Looß, Dr. Lodewijk Blok, Dr. Walinski-Kiel und Prof. Shinzo Tanaka), einige sind ausgetreten oder uns abhanden gekommen, andere Personen sind dankenswerterweise zu uns hinzu gestoßen, dazu zählen auch einige korporative Mitgliedschaften. Besonders spektakulär ist der Zuwachs allerdings nicht, auch wenn wir uns bemüht haben, jüngere Mitglieder zu gewinnen und für korporative Mitgliedschaften zu werben. Über den festen Mitgliederbestand hinaus gibt es aber etliche Kontakte zu Institutionen und Personen, die sich für unsere Veröffentlichungen interessieren, sie regelmäßig ordern, sich auch gelegentlich Rat zur Müntzerforschung holen und eine etwaige Mitgliedschaft in Aussicht stellen. So möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, alle Mitglieder zu bitten, weiterhin in Freundes- und Bekanntenkreisen um neue Mitglieder zu werben. Die direkte Ansprache dürfte erfolgreicher sein als die Wirkung unserer Veröffentlichungen.

2. Unsere Jahresversammlungen

Im Berichtszeitraum sind jährlich Versammlungen der Müntzer-Gesellschaft im Mai zu unterschiedlichen Themen einberufen worden. Diese Versammlungen sind die Hauptsäule unserer Arbeit. Dafür konnten ausgewiesene Referenten gewonnen werden: Prof. Thomas Kaufmann, Kirchenhistoriker in Göttingen, hat den Themenkomplex „Thomas Müntzer und die Zwickauer Propheten“ noch einmal nach langen Jahrzehnten durchforscht und mit der erweiterten Druckfassung einen wichtigen Beitrag zur Müntzerforschung geleistet. Niemand, der sich mit der Biographie und theologischen Entwicklung Müntzers beschäftigt, wird in Zukunft an dieser Publikation vorbeigehen können. Dr. Alejandro Zorsin, einst Kirchenhistoriker in Buenos Aires, ist den Spuren Müntzers in Lateinamerika im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine Theologie der Befreiung oder eine Theologie der Revolution nachgegangen und hat die bemühte Rezeption Müntzers unter Theologen, Kirchenhistorikern und Campesinos nachgezeichnet. Prof. James M. Stayer, einer der bekanntesten Täuferforscher und in der Müntzerforschung kein Unbekannter, ist der Frage der Apokalyptik bei Müntzer noch einmal im kritischen Gespräch mit der einschlägigen Literatur nachgegangen, und Dr. Hartmut Kühne hat den apokalyptisch aufgeladenen Zeithorizont aus überwiegend volkskulturellem Quellenmaterial nachgezeichnet, der Müntzer und der frühen lutherischen Reformation gemeinsam war. Nachdem wir uns in diesem Jahr Müntzer im Filmschaffen der letzten Jahrzehnte zugewandt haben, liegt es nahe – in Anknüpfung an unser Kolloquium zu Müntzer in Bild und Skulptur – mit der Verarbeitung des Müntzerstoffs in der Literatur zu beschäftigen. Mit diesem Thema wird sich die nächste Jahresversammlung 2013 zu beschäftigen beginnen.

3. Unsere Veröffentlichungen

In dem Berichtszeitraum sind alle Vorträge, die auf den Jahresversammlungen gehalten wurden, in den Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft herausgebracht worden, redaktionell von Herrn Sünder (Stadtarchiv) und Herrn Gruneberg (Mühlhäuser Museen) dankenswerterweise fachmännisch betreut. Die Vorträge wurden teilweise stark erweitert und illustriert. Außerdem erschien in unserer Reihe noch die Festschrift für Siegfried Bräuer zum 80. Geburtstag unter dem Titel Thomas Müntzer Zeitgenossen, Nachwelt (2010) als Heft Nr. 14, genauso genommen ein veritables Buch von 320 Seiten. Außerhalb der Vortragsreihe konnte vorher schon das Heft Nr. 13 von Günter Vogler herausgebracht werden: Thomas Müntzer in einer Bildgeschichte, mit zahlreichen, erstmals veröffentlichten lavierten Tuschzeichnungen eines anonymen Künstlers aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aus dem eigenen finanziellen Fundus hätten diese beiden Publikationen nicht auf den Markt gebracht werden können. Die Bildgeschichte ist mit Hilfe eines Druckkostenzuschusses der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und des Vereins für Reformationsgeschichte finanziert worden, der das Heft separat für seine Mitglieder druckte, und uns Exemplare mit einem eigenen Cover überließ. Das hat uns sehr geholfen. Für die Festschrift konnten Druckkostenzuschüsse der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirchen Deutschlands eingeworben werden. Gleichzeitig haben die Mühlhäuser Museen die Drucklegung technisch unterstützt, was uns auch finanziell entlastet hat.

Ohne den jährlichen Zuschuss der Stadt Mühlhausen wäre es uns nicht möglich gewesen, die laufenden Hefte der Jahresversammlungen in ihrer ansprechenden Form herauszubringen. Dafür sind wir dem Oberbürgermeister der Stadt besonders dankbar. So sind wir weiterhin auf auf Zuschüsse oder Spenden anderer oder auf Kooperationen angewiesen. Ergebnis einer solchen Kooperation ist in diesem Jahr die Veröffentlichung des Bestandskatalogs zur Ausstellung „Der geprägte Reformator“ als Heft Nr. 17 unserer Schriftenreihe. Mit diesen Schriften haben wir uns bemüht, öffentlich präsent zu sein und für die Arbeit der Müntzer-Gesellschaft zu werben. Dass die Nachfrage nach unseren Veröffentlichungen durch konkrete Werbemaßnahmen noch verstärkt werden könnte, steht außer Frage. Darauf muss sich die Arbeit in den kommenden Jahren noch mehr konzentrieren als bisher.

4. Internet-Präsenz

Die Homepage unserer Gesellschaft (www.thomas-muentzer.de) ist in den vergangenen Jahren erweitert worden. Es ist uns gelungen, die Grundinformation zu Thomas Müntzer auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung mit einem Lexikonartikel (aus: www.mennlex.de) zu verbessern, den unser Vorstandsmitglied Siegfried Bräuer geschrieben hat und der in sechs weiteren Sprachen online gestellt wurde: neben der deutschen Version noch auf englisch, französisch, niederländisch, spanisch, russisch und sogar japanisch. Damit deuten wir den internationalen Zuschnitt unserer Gesellschaft an: ein Gruß an die Mitglieder im Ausland und ein Hinweis auf unser Bemühen, den Kontakt zur internationalen Community of Scholars und potentiellen Müntzersympathisanten in aller Welt zu verbessern und weiterhin zu pflegen. Neben dieser Grundinformation zu Leben und Werk Müntzers werden regelmäßig die jährlichen Versammlungen unserer Gesellschaft auf dieser Homepage angekündigt und in Zukunft auch Forschungsberichte und Hinweise auf Neuerscheinungen, Tagungen und Ausstellungen veröffentlicht, die sich im engeren oder weiteren Sinne auf Thomas Müntzer beziehen. So lässt sich die Information über Aktivitäten um Thomas Müntzer sowohl für die Mitglieder unserer Gesellschaft als auch für die interessierte Öffentlichkeit in Zukunft bündeln.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich unserem Webmaster, Herrn Max Agsten, dafür danken, dass er unsere Homepage fachmännisch eingerichtet hat und weiterhin betreuen will.

5. Öffentlichkeitsarbeit

Erhöhte Aufmerksamkeit wandte der Vorstand den Veranstaltungen zur sogenannten Luther-Dekade zu, die das große Luther-Jubiläum 2017 vorbereiten. So hat Prof. Günter Vogler beispielsweise Refarate zu Thomas Müntzer anlässlich der Mitgliederversammlung des Vereins für Reformationsgeschichte (2011) und eines Kolloquiums der Evangelischen Akademie in Wittenberg (2011) gehalten. Um Müntzer in der Luther-Dekade nicht ganz in den Schatten der Öffentlichkeitsarbeit für den Wittenberger Reformator rücken zu lassen, hat der Vorstand die Einladung des Bundestags- und Landtagsfraktionen Die Linke angenommen und deren Mühlhäuser Tagung „Kultur neu denken“ zum Thema Thomas Müntzer mit eigenen Beiträgen zu unterstützen. Daran sind Thomas Müller mit dem Eröffnungsvortrag, Günter Vogler und der Vorsitzende mit Thesen zu einzelnen Gesprächsrunden beteiligt. Die Veranstalter haben sich auch bei der Gesamtplanung ihrer Tagung von uns beraten lassen. Beraten hatten Vorstandsmitglieder vorher schon die Produktionsgremien der beiden letzten Fernsehfilme zu Müntzer: Thomas Müller und Siegfried Bräuer beim MDR und der Vorsitzende, Siegfried Bräuer und unser Mitglied Thomas Kaufmann beim ZdF. Im Informationsmaterial beider Fernsehanstaltungen finden sich Hinweise auf die Thomas-Müntzer-Gesellschaft in Mühlhausen.

Unser Schriftführer, Thomas T. Müller, hielt darüber hinaus 2011 auf einer Konferenz anlässlich der Ersterwähnung des Ortes Frose in Sachsen-Anhalt vor 1075 Jahren einen Vortrag über Thomas Müntzers Wirken an der dortigen Stiftskirche. Martin Sünder hat für die Mühlhäuser Stadtführer im Jahr 2010 eine umfangreiche Weiterbildung zu neuen Forschungsergebnissen und zum aktuellen Müntzerbild abgehalten. Mit mehreren, teils auch referierenden Vorstandsmitgliedern war die Gesellschaft auf einer großen Tagung der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 2009 in Wittenberg zum Thema „Reformation und Bauernkrieg“ vertreten.

Ein wichtiges Ziel für den Berichtszeitraum war die stärkere Bekanntmachung unserer Schriftenreihe. So erschienen unter anderem Einzelrezensionen, aber auch Sammelbesprechungen und –anzeigen in der Zeitschrift für Thüringisches Geschichte, der Harzzeitschrift, der Eichsfelder Heimatzeitschrift, den Mühlhäuser Beiträgen, den Eschweger Geschichtsblättern und den Mennonitischen Geschichtsblättern. Darüber hinaus hat Dr. Peter Matheson (Neuseeland) eine umfangreiche englischsprachige Sammelbesprechung neuerer Literatur zu Thomas Müntzer in Mennonite Quarterly Review 1/2012 veröffentlicht. Ausführlich wird hier auch die neue Edition der Briefe Thomas Müntzers besprochen, die Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch in der Thomas Müntzer Ausgabe (Bd. 2) herausgegeben haben, ebenso der Quellenband von Siegfried Hoyer und Wieland Held in derselben Ausgabe (Bd. 3).

6. Arbeit des Vorstands

Alle Aktivitäten, von denen ich berichtet habe, sind im Vorstand entweder auf der jährlichen Vorstandssitzung jeweils am Vorabend der Jahresversammlungen oder telefonisch unter den Mitgliedern des Vorstands ausführlich beraten, beschlossen und vorbereitet worden. Ich bin besonders dankbar dafür, dass alle Vorstandsmitglieder den Vorsitzenden in jeder erdenklichen Weise unterstützt haben. Das gilt vor allem für die Anregungen zur thematischen Durchführung der Jahresversammlungen, die Herstellung der Kontakte zu Referenten und – was die Finanzierung unserer Veröffentlichungen betrifft – zu Institutionen, die uns mit ihren teilweise großzügigen Druckkostenzuschüssen sehr geholfen haben. Inzwischen sind die anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten, von denen noch im letzten Bericht vor vier Jahren berichtet werden musste, überwunden und alle Vorstandsmitglieder zu einem effektiven Team zusammengewachsen. Alle Mitglieder des Vorstands sind bereit, die Arbeit mit ihren unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten, ihren zahlreichen Verbindungen zu Kirche und Verwaltung, zu Museen und akademischen Einrichtungen zum Wohle der Thomas-Müntzer-Gesellschaft fortzusetzen, sofern sie von der Mitgliederversammlung wiedergewählt werden.

7. Abschließende Bemerkungen

1. Anlässe, an Leben und Werk Müntzers zu erinnern, wird es um das Luther-Jubiläum 2017 herum genug geben. Sie gilt es im einzelnen ausfindig zu machen und sich mit dem einen oder anderen Mitglied unserer Gesellschaft ins Gespräch zu bringen. Gefragt sind nicht nur Veteranen vergangener Forschungsauseinandersetzungen, sondern auch jüngere Kolleginnen und Kollegen. Sie gilt es zu unterstützen. Außerdem wäre es wohl ratsam, eine Liste derjenigen zusammen zu stellen, die augenblicklich an Dissertationen über Müntzer und seinen Umkreis arbeiten. Vielleicht können wir uns diese Aufgabe teilen und bei uns bekannten Kollegen nachfragen und die Informationen an unseren Schriftführer weiterleiten. So ließe sich unsere Gesellschaft auch zu einer Informations- und Forschungsagentur zu Müntzer ausbauen.

2. Ratsam wäre es auch, den Vorschlag unserer Mitglieder Christina und Eberhard Vater aus Mühlhausen aufzugreifen, Müntzer in den Diskussionen zu Gehör zu bringen, in denen heute um Fragen der Spiritualität diskutiert wird. Müntzer hat die Frömmigkeit der mittelalterlichen Mystik in den Protestantismus hinübergerettet und reiligiöse Innerlichkeit mit sozialem bzw. sozialrevolutionärem Engagement verbunden. Beides theologisch miteinander ins Verhältnis zu setzen, dürfte auch heute ein Desiderat sein.

3. Wie das Programm der Tagung „Kultur neu denken“, die sich an unsere Jahresversammlung anschließt, zeigt, wird in einer Gesprächsrunde darüber nachgedacht, welche Bedeutung Müntzer für Theologie und Kirche heute haben könnte. Das ist eine Frage, die von einer Jahrhunderte langen Häretisierung der Theologie Müntzers zu diskutieren vereitelt wurde; und das ist eine Frage, die im Zuge der politischen Rezeption Müntzers nach dem Zweiten Weltkrieg in der Situation, in der sich die Evangelischen Kirchen in Deutschland befanden, tabuisiert wurde. Müntzer war den Kirchen nicht nur fremd, sondern noch einmal zum Feind geworden. Auf der falschen Seite konnte – so nahm man wohl an – keine richtige Theologie gedeihen. So ist jetzt die Zeit gekommen, nicht nur die historischen Studien zu Leben und Werk Müntzers voranzutreiben (das ist die vorrangige Aufgabe der Thomas-Müntzer-Gesellschaft), sondern in Gesprächen mit Theologen, Vertretern der Kirchen und der ökumenischen Bewegung nach Wegen zu suchen, Impulse aus der Theologie Thomas Müntzers für die theologischen Bemühungen unserer Tage wirksam werden zu lassen. „Das Volk wird frei werden und Gott wird der Herr darüber sein“, dieser Schlusssatz aus der Hochverursachten Schutzrede gegen Martin Luther ist noch nicht eingelöst. Das könnte uns helfen, dem Image eines Traditionsvereins entgegen zu wirken und der Beschäftigung mit Thomas Müntzer über das geschichtswissenschaftliche Interesse hinaus neue Aktualität zu verleihen.

gez. Hans-Jürgen Goertz